Panel-Diskussion mit Selbstvertreter*innen
Wie steht es nach 20 Jahren um die Gleichstellung?
Rund 20 Interessierte verfolgten die von der Präsidentin Nina Mühlemann moderierte Diskussion zu aktuellen Fragen der Gleichstellung. Denyse Gundlich (ü65), Ella Mundiger (23) und Safir Ben Dakon (28), alle mit unterschiedlichen Behinderungen lebend, teilten ihre Erfahrungen und Meinungen zur Gleichstellung im Erwerbsleben, in der Medizin sowie in Kultur und Gesellschaft. Obwohl die Teilnehmer*innen auch wegen der Altersdifferenz teilweise sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht hatten, zeigte das Gespräch, dass Diskriminierung und Ungleichbehandlungleider immer noch häufig im Alltag vorkommen. Verletzungen der Autonomie und der Selbstbestimmung bei medizinischen Behandlungen sind ein Problem, über das noch zu wenig gesprochen wird. Dass Mehrfachdiskriminierung und stereotype Rollenbilder auch Frauen mit Behinderung an der Entfaltung ihres Potentials hindern, ist bekannt. Wie der Erfahrungsbericht von Denyse Gundlich zeigt, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familiefür Frauen mit Behinderung ein Kraftakt, der die Grenzen der Belastbarkeit oft übersteigt.
Langsam geht es aber auch in der Schweiz vorwärts. So berichtet Saphir, dass heute Frauen mit Behinderungen nicht mehr nur auf ihre Behinderung reduziert werden, aber doch auch mit einem Geschlecht wahrgenommen werden. Auch Denyse erinnert daran, dass wir früher noch in dem Güterwagen reisen mussten. Heute sind zwar die Züge noch nicht ganz barrierefrei, aber trotzdem fahren wir heute in den Passagierzügen mit. Ella findet besonders den technologischen Fortschritt eine wichtige Entwicklung, den auf Youtube und Social Media findet Mensch nützliche Tipps und Tricks zu behindertenspezifischen Fragen. Die Behinderten-Community kann sich weltweit gegenseitig unterstützen.
Wirklich prekär steht es in der Schweiz jedoch um die Entwicklung bezüglich Politik und IV-Praxis. Hier entwickelt sich das ganze weiter in eine paternalistische Richtung. Wir müssen uns weiterhin mit behördlichen Regulierungen auseinanderschlagen, die den Alltag erschweren. Und auch von einer inklusiven Politik oder Partizipationsmöglichkeiten können wir noch lange nicht reden. Aber auch das Gesundheitssystem traumatisiert Menschen immer wieder, da es zu Übergriffen und Unverständnis kommt. Es wäre wünschenswert, wenn die Ärzte und das Pflegefachpersonal besser auf Behinderungen geschult würden.
Wie prägt die Behinderung unsere Identität und wie prägen uns die (stereotypen) Vorstellungen der Anderen? Paternalismus ist eine irritierende und verletzende Erfahrung, die viele Frauen mit Behinderung teilen. Er reicht von der Geringschätzung der eigenen Fähigkeiten und Bevormundung bis hin zu (körperlichen) Übergriffen. Die Verteidigung unserer Integrität und die Selbstbehauptung erfordert sehr viel Kraft, die wir eigentlich für anderes brauchen würden. Wichtig ist zu verstehen, dass die Ursache nicht individueller Art ist, sondern die in der Gesellschaft noch immer verbreiteten Vorurteile, Vorstellungen und Zuschreibungen Teil von einer Behindertenfeindlichen Struktur oder System sind.
Die Gleichstellung, so das naheliegende Fazit, ist auch nach 20 Jahren nicht erreicht. Wir werden die Arbeit von avanti donne in den nächsten Jahren fortführen und weiter für Verbesserungen kämpfen. Ein herzlicher Dank allen Mitgliedern und Gästen, die in die Paulus Akademie gekommen sind, um das Jubiläum von avanti donne zu feiern!